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flüchtige Momente

Manchmal, in diesen ganz seltenen, flüchtigen Augenblicken, ganz manchmal wünsche ich mir, mein Kind wäre so wie andere Kinder.
Wehmut stülpt sich dann wie eine Decke über mich und der Gedankenkreislauf beginnt. Unweigerlich gelange ich an die Stelle, wo bohrende Fragen nach dem warum mir zusetzen.
Genauso unweigerlich lande ich gedanklich dann bei Schuldzuweisungen und der Schlussfolgerung: "Du hast dein Kind so gemacht, wie es heute ist...!"

Es schließt sich das Hadern und Zaudern aller berufstätigen Mütter an, die immer mal wieder, sozusagen täglich, den Spagat zwischen Beruf und Familie wagen.

Wäre Sophia anders, wenn ich nicht arbeiten ginge?
Fehlt meinem Kind Zeit? Zeit mit mir?

Natürlich vergleiche ich meine Töchter miteinander. Genauso natürlich weiß ich, dass eine Mutter genau dies niemals tun sollte.
Aber was man sollte und müsste ist nicht immer das, was Kopf und Bauch ganz eigenmächtig machen?

Nun habe ich mich eine ganze Weile und sehr intensiv mit dem selektiven Mutismus auseinander gesetzt.
Während ich lerne anzunehmen, dass mein Kind so ist, wie es ist, weigert sich unsere Umgebung standhaft.

Es ist, als lebten zwei Seelen in unserem Kinde. Die eine, die wilde, die überschäumende, wissbegierige, tobende, leidenschaftliche, temeperamentvolle, lustige und unbeschwerte - nur gezeigt im trauten häuslichen Rahmen.

Und die andere, stille, in sich gekehrte, mehr als schüchterne, wortfehlende, zaudernde, ängstliche, scheue, sich selten überwindende Seite - jene, die alle zu sehen bekommen, die unser Kind nicht näher kennen, ihm nicht nahe stehen.

Ich bin ein absoluter Gegner allzu früher Therapien. Mein Standpunkt ist nach wie vor der, dass in Deutschland übertherapiert wird. Für alles, gegen alles - die Maßnahmen scheinen schier endlos und es ist ja auch viel einfacher, ein Kind in Therapie zu stecken, als selbst an dem Problem zu arbeiten.

Selbst das an-sich-arbeiten wird heutzutage vielen Kindern und Menschen abgenommen. Aber Rückgrat sollen sie entwickeln.....

Wir haben uns Zeit bis zum Sommer gegeben. Jeder kleine Fortschritt wird mit Tränen in den Augen zur Kenntnis genommen.
Die Gratwanderung zwischen extrem schüchtern und selektivem Mutismus ist gewagt und eng und schwierig.

Oft bin ich geneigt, unserem Kind Belohnungen für Alltäglichkeiten anzubieten, in der Hoffnung, dass sie endlich tut, was alle Kinder tun: sprechen.
Nicht nur hier, pausenlos, übereifrig. Nein, auch in der Großgruppe im Kindergarten, beim Arzt oder wo immer wir sind.

Immer wieder bremse ich mich. Wenn sie es tut, muss sie es von sich aus tun. Nicht, weil eine Belohnung winkt.

Andererseits: Warum um Himmelswillen liegt mir so viel daran, dass sie im Stuhlkreis Familienintimitäten ausplaudert? (Eine Tochter, die dies gerne und ausdauernd tut, reicht eigentlich, um den Peinlichkeitspegel kurz vor dem Überschwappen zu halten!)
Warum reicht es nicht, dass sie mittlerweile mit den Erzieherinnen spricht, mit den Kindern sowieso?
Warum erwarte ich Antworten bei einem fremden Arzt?

Bin ich auch schon in diese Normalschublade gespresst?

Ich weiß es nicht. Das, was beruflich so leicht erscheint, jedes Kind anzunehmen wie es ist, seine Talente zu entdecken, es zu fördern - das ist beim eigenen Kind mit einem Male alles andere als einfach und selbstverständlich.

Und das ist die Decke der Wehmut, die mich da manchmal - für kurze Momente - bedeckt.

Glücklichweise kann man sie abnehmen und beiseite legen - bis zum nächsten flüchtigen, wehmühtigen Augenblick.


augenBloglich 13.04.2006, 10.43

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Sandra

Ich bin eine Tratschen, zu jedem Thema, zu jeder Uhrzeit, mit jedem. Ich kann mich gut anpassen, bin aber auch der Pausenfüller, der Alleinunterhalter, der der alle mitreißt, und aus jedem ein Lächeln rausbekommt.
Dabei kann ich mich noch so gut erinnern wie es als Kind für mich war:
Von einem Kellner angesprochen zu werden, war peinlich, von Fremden - mit denen sich meine Mutter unterhalten hat - grauenvoll, am besten gleich nachhause laufen. In einem Fahrstuhl auch nur angesehen zu werden von einem anderen Menschen - zum sterben.
Es ist unterträglich etwas zu sagen vor Leuten die man nicht so gut kennt, die eigenen Stimme zu hören, und, man könnte ja auch etwas falsches sagen ... Wie steht man dann da? Vor Mama? Vor allen anderen? Im Familienkreis, wo man was ganze einfaches gefragt wird, wie nach dem Alter, alle Blicke richten sich auf einen, zum ersticken ...
Gib deiner Kleinen nur Zeit. Das wird schon!!!! Ganz bestimmt! Ich weiß wie das ist ...

vom 04.08.2006, 13.43
1. von andrea

liebe suan... ich kenne dieses gefühl. man will für sein kind das beste und wenn man merkt, dass das eigene kind nicht so angenommen wird, wie es ist, dann schmerzt das. wie gerne würde man dem kind helfen indem man ihm die hindernisse aus dem weg schaufelt... (im bewusstsein, dass dies nur kurzfristig was ändern würde... aber in genau diesem moment...) gewisse situationen auszuhalten tut weh. unsere beiden kinder sind in der schule ganz ganz leise und melden sich so gut wie nie. wer sie kennt, der weiss, dass sie sich sehr gut zoffen und rumbrüllen können... aber eben hier und nicht dort... es wird besser... aber es braucht und brauchte viel geduld. andrea

vom 13.04.2006, 13.30
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Toll, dass Du wieder bloggst!
Ich wünsche Dir ein frohes neues Jahr und hoffe, ich lese Dich nun wieder regelmäßig!
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Hanna
Nochmal herzlichen Dank für die Hilfe und du hast einen sehr tollen Blog ! (:
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Gartenfee
Hi, bist du gar nicht mehr hier am Werk??? Das wäre aber schaade.
25.2.2011-23:00
patricia
wie heißt deine lehrerin!!!!!!!!
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NIcole
Hey, ich find das super das Du Dich durchgesetzt hast bei den anderen Müttern. Ist doch egal was die sagen. Bin stolz auf Dich. lieben Gruß
NIcki
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