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Honig im Kopf

In der Öffentlichkeit einen Till Schweiger Film oder gar seine schauspielerischen Leistungen zu kritisieren ist nicht nur sehr gewagt, sondern für einige Mitmenschen mit Frevel gleichzusetzen.
Dessen bin ich mir durchaus bewusst, aber ich komme einfach nicht umhin, mein gestriges Kinoerlebnis zu kommentieren.

Schade!
Das hätte ein richtig guter Film werden können!

Dieter Hallervorden war brillant, bestechend gut und überzeugend.
Er hätte in dieser wunderbaren Rolle Besseres verdient.

Ich sah Till Schweiger einst in "Der bewegte Mann" und überzeugte mich von seinem Untalent in seinem Tatort Debut, in dem derart viel geballert wurde, dass die schauspielerische Nichtleistung kaum auffiel.

Gestern in "Honig im Kopf" hätte ich Dieter Hallervorden einen Schauspieler an die Seite gewünscht, der Emotionen überzeugend spielen kann und nicht nur dekorativ aussieht.
Das Gesicht maskenhaft starr, waren ihm  die Tränen in einigen Szenen einfach nicht abzukaufen.
Ohnehin stellte sich mir laufend die Frage, warum man so ein sensibles und wichtiges Thema derart auf Unterhaltungsniveau herunterschrauben muss?

Es gab einige zauberhafte Szene, die mich letztlich aber nicht damit aussöhnen konnten, dass der Film derart viele furchtbare Klischees bedient, dass ich manchmal nahezu fassungslos war.

Beginnen wir mit dem - und das muss ich sagen, wirklich niedlichem - Kind Tilda.
Tilda ist elf.
Das ist ja nun eine Alterngruppe, die mir persönlich und beruflich sehr nahe steht.
Nun frage ich mich nur, wo gibt es diese wunderbaren Mädchen, die mit elf weise, mental frühreif, stark und in Bullerbü Klamotten gekleidet sind?

Die in ihren allerliebsten Roben (herzentzückend) den ins eigene Gesicht furzenden Opa geduldig und lachend zur Seite stehen?

Gut, es ist ja nur ein Film und da muss ein bisschen heile Welt erlaubt sein.
Und Geld.

Geld muss offensichtlich auch erlaubt sein und keine Rolle spielen.
Anders kann ich mir nicht erklären, warum dauernd Mercedes durchs Bild rauschen, Apple an jeder Ecke hervorlugt und die offensichtlich nicht nur unsympathische, sondern auch trunksüchtige und latend gestörte Ehefrau und Schwiegertochter mit einem gusseisernen Baseballschläger oder zumindest einem ähnlich aussehenden Teil (das man ja immer im Haus hat) ein lediglich angefahrenes Auto in seine Kleinteile zerhämmert.

Das Haus muss groß sein und außergewöhnlich.
Auf die Nachbarn mir ihren Gartenzwergen muss herabgesehen werden.

Sieht man davon einmal ab, ist die ganze Geschichte um das eigentlich Thema herum doch einfach nur absurd.
Ein Ehepaar, dass offensichtlich seit vielen Jahren eine schwierige Ehe führt, beide Partner beruflich ausgelastet und erfolgreich, beide fremdvögelnd (man verzeihe mir die derbe Wortwahl), die sich aber Ende binnen 24 Stunden in Venedig wiederfinden, lieb haben und zum krönenden Schluss noch ein Kind miteinander zeugen.
Ach nein, der krönende Schluss ist ja eigentlich eher, dass sie, die ihren Beruf offensichtlich liebt, mit einem Male schwört, sie gäbe so gerne alles auf, um mehr bei Kind und beim dementen Schwiegervater sein zu können.

Bitte. Ich hätte mir so viel mehr Realität und so viel weniger Klischees gewünscht.

Es hätte auch keines Udo Lindenberg bedurft, der irgendwann sinnlos am Straßenrand zusieht, wie der demente Opa mit Kupplung schaltender Enkelin zum Hamburger Bahnhof fährt.
Das hatte so etwas von: "Schaut, wer in meinen Filmen alles mitspielt!"

Für das Geschehen absolut unerheblich. Genauso wie Jan Josef Liefers als Chef und Affäre der latend gestörten Schwiegertochter.
Allerdings spielte Liefers in seiner Kurzrolle Schweiger sowas von locker an die Wand, dass es eine wahre Freude war.
Für die Handlung jedoch: Schmückendes Beiwerk.
Und davon gab es - meiner Meinung nach - zu viel.
Viel zu viel.

Die ältere Dame im Altersheim, die Schweiger einen schnellen Fick (nicht meine Wortwahl) anbietet, das Nonnenkloster bei Bozen, in dem Opa und Enkelin irgendwann landen.
Das nächtliche Schlafen der beiden am Lagerfeuer.
Und und und......

Ich hätte mir mehr von den ruhigen Szenen gewünscht, jenen wie das Zähneputzen. Das Helfen der Enkelin, die behutsam Opas Zähne putzt, weil er vergessen hat wie es geht.
Oder das Urinieren in den Kühlschrank, die aggressive Reaktion auf Hilfestellung beim Essen.
All die eigentlich wichtigen und so hervorragend gespielten Szenen, die das Thema Alzheimer aufgegriffen habe ohne es zu überladen und untergehen zu lassen in dieser furchtbar aufgesetzten Geschichte.

Und dann diese Augenblick, in dem Tilads Eltern heimlich ihr Tagebuch lesen, von der enormen Weisheit der Elfjährigen profitieren und allen Kinobesuchern, die älter werdende Eltern haben die kleine Keule über die Rübe zu schlagen.

Gleichsam wie: "Hey, Ihr müsst Euch nur mehr um Eure Eltern kümmern, Ihnen mehr Freude bereiten, dann geht es ihnen auch besser!"

Eine schauderhafte Botschaft.
Das ist nicht nur der kleine, schnuckelige pädagogische Zeigefinger, das ist die Keule.
Derb und plattmachend.

Schade nur, dass nicht jeder die Möglichkeit hat, seinen Job mal eben schnell aufzugeben, demente Angehörige zu sich zu holen und sein eigenes Leben von jetzt auf gleich radikal umzukrempeln.....

Mich würgt es, wenn solche Klischees bedient und allgemeingültige Wahrheit dargestellt werden.
Es hat eine gewisse Überheblichkeit, die sich meiner Meinung nach durch den kompletten Film zieht.

Und dennoch saß ich natürlich, wie all die Menschen um mich herum, an vielen Stellen heulend da und ließ mich ergreifen.
Immer waren es wunderbare Szenen, in denen  Hallervorden die Krankheit überwältigend gut spielte.

Aber zum Schluss überwog die Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass der Film dem Thema nur ansatzweise gerecht werden konnte und Hallervorden in der überzogenen Rahmenhandlung manchmal unterzugehen drohte.

Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann wünsch ich mir ganz viele dieser entzückend zauberhaften Elfjährigen hierher. Sie dürfen auch die Bullerbü Kleidung tragen......
Hauptsache sie sind so herrlich liebreizend, weise, geduldig, angepasst. Ach nein, Moment. Vergessen wir es.

Ich bleib bei meinen herrlich pubertierenden, unweisen, unangepassten Teenies hier im Hause.
Die passen auch besser zur unangepassten Mutter, die dem Mainstream Kino nicht so viel abgewinnen kann.
Übrigens: Alle anderen Kinobesucher waren restlos begeistert.
Zumindest die, die wir später auf der Damentoilette trafen.

Erst da wurde uns bewusst, dass wir wohl anders sind.
Vielleicht hat uns aber auch wieder nur die Erwartungshaltung übel mitgespielt.
Als reine Unterhaltung wohl zu empfehlen.

Wer auf der Suche nach mehr ist, der findet das Mehr und das Tiefergehende nur in wenigen Sequenzen.
Doch dafür hat es sich gelohnt.
Den Rest kann man ja schnell vergessen.

Erinnern lohnt nicht in jedem Fall.

Schade!
Es hätte wirklich ein außerordentlich beeindruckender Film werden können!

augenBloglich 24.01.2015, 12.36

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Kommentare zu diesem Beitrag

3. von angelface

eine hervorragende rezension, kann ich nur unterstreichen...
lieben Gruß beim freischalten der Kommentare...(denn: bin noch relativ neu hier) und nur durch Zufall aus den Weiten des Alls (Netz) gelandet...

jede Geschichte, jeder Bericht - humorvoll und gestalterisch wortwählerisch Top 100 Punkte -
bin begeistert!
angelface

vom 03.11.2018, 09.21
2. von Bettina

Tja, so ist das manchmal mit hochgelobten Filmen und Büchern: "Alle" finden das Werk toll, aber man selbst staunt und versteht einfach nicht, was andere so begeistert. Mir ging das jetzt am letzten Wochenende mit dem von "allen" so gelobten Roman "ein ganzes halbes Jahr". Ich fand das Buch weder berührend, noch inhaltlich stimmig, es hat mich auch nicht zum nachdenken gebracht, denn ich fand den Schreibstil schrecklich, den Inhalt fand ich zu platt und der Kern des Buches war eine gruselige Botschaft, die ich in dieser Form nicht gutheißen kann. (Allerdings fand ich "Honig im Kopf" einen tollen Film - so verschieden ist das manchmal!)

liebe Grüße von Betina

vom 25.01.2015, 09.22
1. von Anne

Den Film hab ich noch nicht gesehen. Es geht mir aber oft mit "hochgelobten" Filmen so, dass ich enttäuscht bin und nicht verstehen kann, warum diese so überbewertet werden.
Als letztes habe ich "Mr. Turner - Meister des Lichts" gesehen und bin ziemlich frustriert aus dem Kino gekommen. Die Vorschau, die ich mal dazu gesehen hatte, hatte mir was anderes vorgegaukelt....
Geweigert habe ich mich bisher auch, mir "Fack ju Göhte" anzusehen. Der Titel hat mich schon abgeschreckt und den Trailer fand ich nur überzogen und bescheuert; kaum auszuhalten für Menschen an der echten "Schulfront"! Erst recht werde ich keinen geplanten zweiten Teil ansehen, der wahrscheinlich noch eins drauf setzt.
Naja, gut, dass wir unser Kopfkino noch betätigen können;))!
Sonntagsgrüße - Anne



vom 25.01.2015, 07.43
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Marie
Toll, dass Du wieder bloggst!
Ich wünsche Dir ein frohes neues Jahr und hoffe, ich lese Dich nun wieder regelmäßig!
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Hanna
Nochmal herzlichen Dank für die Hilfe und du hast einen sehr tollen Blog ! (:
26.11.2011-16:21
Gartenfee
Hi, bist du gar nicht mehr hier am Werk??? Das wäre aber schaade.
25.2.2011-23:00
patricia
wie heißt deine lehrerin!!!!!!!!
1.3.2008-16:20
NIcole
Hey, ich find das super das Du Dich durchgesetzt hast bei den anderen Müttern. Ist doch egal was die sagen. Bin stolz auf Dich. lieben Gruß
NIcki
30.3.2007-9:25