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Bildungszwang
Ich würde mich nicht als Opernliebhaberin bezeichnen, dafür fehlt mir das Wissen, aber ich mag Opern.
Ich muss so um die 24 gewesen sein, als ich das erste Mal eine Opernaufführung besuchte und es hat mich beeindruckt.
Nicht geprägt, nicht beeinflusst, aber nachhaltig durchtönt.
So kam es also, dass ich Karten für die Kinderoper erstand.
Mozart sollte hier aufgeführt werden - eine Reise aus 1001 Nacht - die Entführung aus dem Serail.
Ich erinnerte mich kurzzeitig an das ganz furchtbare Buch: Weltwissen der Siebenjährigen (oder so ähnlich), in dem die Autorin beschrieb, wie wichtig es sei, dass ein Kind von sieben Jahren bereits eine Oper kennen lernen konnte.
Dies und Pisa - man will sich ja nicht nachsagen lassen, die eigenen Kinder im Unbildungssumpf verrecken zu lassen - bewogen mich also diese Karten zu kaufen.
Ich persönlich war auch mit 24 noch ganz zufrieden, erstmalig Kontakt mit der Oper gehabt zu haben.
Ich würde auch niemals so weit gehen und behaupten, ich hätte mich vorher ungeliebt, ungebildet oder sonstwas gefühlt, aber, wir leben in anderen Zeiten und bilden die Kinder wo und wie es nur geht.
Der Opernsonntag kam und die Sonne schien.
Bei 33 Grad quetschte ich meine Töchter ins heiße Auto und versprach ihnen - leichtsinnigerweise - großes Vergnügen.
Sophia wollte lieber ins Planschbecken, Lena in den Garten, aber wie gesagt, Pisa steckt auch mir in den Knochen, die Oper rief.
Da hatten sich nun alle bildungshungrigen Eltern mit ihrem bildungsbezwängtem Nachwuchs versammelt.
Die Kinder sahen lustlos aus, die Eltern eher gequält.
Als die ersten Schauspieler die Bühne betraten bekam Sophia Angst und hüpfte mir auf den Schoß.
Die Oper begann.
Nach ca. 45 Minuten hörte ich den Jungen neben mir fragen:
"Wann singen die denn endlich mal deutsch?" und hörte den Vater antworten:
"Weiß ich doch nicht. Datt is ne Oppa!"
Nun, die Darsteller sangen bereits Deutsch, aber darauf hinzuweisen war mir jetzt auch zu kluggeschwätzt, also behielt ich mein Wissen für mich.
Sophia langweilte sich furchbar. Lena amüsierte sich mit einer Packung ungesunder Mentos und kam so ganz gut über die Runden.
Ich persönlich hätte die Oper jetzt auch nicht sooo dringend gebraucht, aber man kann ja den Horizont der eigenen Kinder nicht oft genug, früh genug, sinnloser genug erweitern.
Kurzzeitig machte die Sache Sophia dann doch Spaß, als die Kinder mitmachen und einen Bauchtanz erlernen durften.
Sie verfiel anschließend schnell wieder in schwitzende Lethargie und ich konnte das sehr gut nachvollziehen.
"Mama, warum muss ich hier sitzen und darf nicht schwimmen?" wollte mein Kind kläglich jammernd von mir wissen und ich konnte ihr keine wirklich gute Antwort geben.
Vielleicht hätte ich ihr erklären sollen, dass ich kurzzeitig die hirnrissige Idee hatte, Opernbildung sei wichtiger als Matschen im Garten.
Oder ich hätte anführen können, dass Pisa nun auch in meinem Kopf angelangt ist, ich mich den Bildungszwängen unserer Zeit gebeugt habe.
"Ich dachte, es würde uns Spaß machen hier zu sein!" war meine lahme, fadenscheinige und an den Haaren herbei gezogene Entschuldigung.
So kann man sich täuschen.
Ich habe meinen Töchtern einen unbeschwerten Gartennachmittag gestohlen.
Ich habe sie beraubt und ihnen Bildung übergeworfen wie ein ungeliebtes Kleidungsstück.
Habe mich anstecken lassen von dieser Massenhysterie, dem Glauben daran den Kindern mit der Besuch der Oper quasi das Abi in die Tasche gesteckt zu haben.
Beschämt bin ich anschließend mit meinen Töchtern nach Hause gefahren.
Kinderoper!
Gewissenberuhigung für Eltern und Erwachsene.
Den Sommer genießen wir draußen.
Ohne Opern, ohne Wletliteratur.
Ohne Lernspiele, ohne Wissenrekorde.
Ich lasse meine Töchter Kind sein.
In die Oper können sie immer noch.
Wer weiß wie lange sie noch matschen mögen.......
..vermutlich passiert jeder Mutter/jedem Vater so ein Reinfall. Jeder will ja nur das Beste für seine Kinder...wobei es für mich im nachhinein immer besser war auf meinen Bauch zu hören...mit den Sachen "die Mann/Frau seinen Kinder anbieten sollte" bin ich sehr vorsichtig gewesen und natürlcih (immer ehrlich bleiben) trotzdem manchmal baden gegangen. Meine Tochter ist jetzt fast 17 und sagt mir heute: Mum, wie gut das wir so gut zusammen reden können, oder wie gut das ich so eine tolle Kindheit hatte....
Meine Tochter durfte matschen, alle Kinder mit nach Hause bringen und immer alles erzählen...wenn man sich mal so umsieht, welches Kind darf das heute noch? Welches Kind darf heute noch mit 5 Freundinen einen Kuchen (ohne neugierige Mama-Augen) backen, welches Kind darf heute noch einfach Kind sein??
In diesem Sinne
viel Freude an deinen Kindern wünsche ich dir, Monika
vom 06.07.2007, 19.31