Augenbloglich

was-der-tag-bringt - augenBLOGlich - DesignBlog

Ausgewählter Beitrag

was der Tag bringt

Mein Tag beginnt stressig. Während es aus zwei zierlichen Mädchenkehlen lauthals schallt: "Maaaaamaaaaa, ich hab Hunger!", wird das höchstpersönliche Toilettenbedürfnis zunehmend dringender, selbige jedoch [die Toilette jetzt] wird noch von der Jugend besetzt und geradezu blockiert: "Wenn ich fertich bin, dann is ers die Sophia dran, ne, Sophia, stimmt doch, oder?" "Ja, das stimmt. Und du darfs dar nich detz da drauf, Mama!". Neben kleinen Diskussionen in trauter, frühmorgendlicher Frauenrunde, werden Kinderhaare gekämmt, Zöpfe geflochten, Strumpfhosen angezogen, Zähne geputzt. Derweil meine innere Unruhe stetig zu wachsen beginnt und ich sehnsüchtig auf den Rechner schiele, der schweigend, schwarz und stumm noch in tiefstem Schlafe liegt. Nachdem die hungrigen Kinder im Vorbeieilen versorgt, schnell noch die Essensreste des gestrigen Abends vom Boden aufgehoben, Tische und Stühle wieder an Ort und Stelle gerückt werden und die Jeans auf wundersame Weise an meine Beine findet, scheint der Weg zu virtuellen Welten frei und ein rascher Blick in die Mailbox kann ja auch nicht schaden. Das geübte Auge überfliegt die Betreffzeilen der mails und verleitet den Puls dazu, schneller zu gehen sobald es eine Buchanforderung von Buchticket erblickt.

Während die Kinder sich zu prügeln scheinen [aber stand in diesem zauberhaften Apothekerblättchen nicht ganz deutlich, man solle sich NIEMALS in Geschwisterstreitigkeiten einmischen ?] versuche ich mit der einen Hand Bücher einzutüten, parallel dazu mit der anderen Hand meiner Haare Herr zu werden. Ein Unterfangen, das scheitern muss und darin mündet, dass ein schräg gestapelter Büchersendungenberg platschend umkippt und meine Haare strubbelig vom Kopf abstehen.

Die Arbeitstasche lässt sich wunderbar einhändig packen, so dass die andere Hand schnell noch einmal über die Tastatur huscht und, ja, mails könnte man auch noch einmal abrufen.

Auf dem Weg in die Küche fädele ich noch rasch eine Perlenkette mit Lena auf, füttere Sophia, die nach Knochen schreit, da wieder einmal zum Hund mutiert und falte noch eben die Bügelwäsche zusammen.

Die Linsen sind schnell ins Auge gesetzt, Jacke übergeworfen, Schal mächtig schwungvoll um den Hals drapiert entdecken meine nun belinsten Augen noch diverse andere Reste auf dem Wohnzimmerboden. Vor die Wahl gestellt diese abzuschaben und zu entsorgen oder schnell noch einmal mails abzurufen, entscheide ich mich für Letzeres und höre gerade noch, dass unsere Mädel sich nun um die Perlenkette streiten.

Ach, ein, zwei Adressen kriege ich noch geschrieben. Die Uhr zeigt wieder mal viel zu spät, der frühe Morgen rast dahin und unsere Kinder prügeln sich immer noch [oder war es schon wieder]. Die Büchersendungen passen kaum in eine Klappbox, müssen aber, da ich nur einen Arm frei habe.

Ah, die Prügelmädel wünschen Milch, kein Problem, auch die Zöpfe lassen sich noch letztmalig richten. Gut, sie sitzen etwas schief, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das damit zusammenhängt, dass ich schnell noch ein neues Buch schauen musste.

Die Zeiger der Uhr rasen, jemand sollte sich darum kümmern, und ich sehe ein, dass ich gehen muss. Ein letzter Blick auf den Rechner, freudige Pulsbeschleunigung, doch dann hat die Abschiedsknuddelei Priorität.

"Mama, dehssu heute ohne Schuhe in die Arbeit?" fragt mich unsere Jüngste ganz charmant, herrje, man kann ja wirklich nicht an alles denken.

Endlich stehe ich - in der einen Hand die tonnenschwere Arbeitstasche, in der anderen [elegant unter den Arm geklemmt] die Klappkiste mit der Bücherpost - abreisefertig in der Tür und bekomme ein liebevolles: "Deh detz, Mama, deh detz mal!" hinterher gerufen.

Der Schal, wohlig wärmend, nimmt mir ein wenig die Sicht und so stoße ich unsanft gegen das Treppengeländer, kann mich wenig elegant aufrappeln, aber nicht mehr verhindern, dass Tasche und Kiste mit mehreren Salti die Treppe herunter purzeln. Oben wird die Tür aufgerissen und Sophia schreit: "Mama, bissu die Treppe runter defallt ?" [wenigstens ein Familienmitglied, das sich sorgt] ehe sie rasch wieder die Tür zuknallt ohne eine Antwort abzuwarten.

In aller Eile klaube ich meinen Kram zusammen, haste zum Auto und widme mich kurzzeitig dem Eiskratzen. Die Fahrt verläuft vergnüglich und gedanklich sortiere ich die noch zu lesenden Bücher. Ups, eine Ausfahrt. War das meine ? Nun gut, es gibt andere....

Auch eine Arbeitsstätte lässt sich - augendlich - nach Büchern taxieren [so kommt man nicht ganz raus aus der Materie], aber Wichtigeres umfasst mein Denken und ich bleibe bis mittags kopfbuchfrei.

Zuhause werde ich mit den Worten: "Mama, fahrn wir detz zur Post?" empfangen [keine Ahnung, wie Sophia auf so etwas kommt!] Während des Mensch-ärgere-nicht-Spielens, packe ich, ganz nebenbei und nahezu unauffällig, Bücher ein, adressiere und frankiere und nutze die Mädchenpipipausen für rasche Blicke in virtuelle Bücherwelten.

Die Kinder haben Hunger, die Bügelwäsche wartet, der Trockner piepst, der Besen hat noch einiges zu tun - wie immer muss ich Prioritäten setzen. In der Küche kocht es vor sich hin, die Kinder basteln Schlösser aus den Luftpolsterumschlägen der soeben entpackten Bücher, während ich, ein Buch in der Hand, Bücherstapel sortiere, umschichte, ordne, sichte. Oh, da springt mir ein weiteres Buch ins Auge, Moment, nur den ersten Satz [erwähnte ich, dass ich 1. Satz Fetischistin bin ?], uuuuh, Moment, nur die eine Seite, vielleicht, warte, die zweite noch, nur die zweite.

Es scheint etwas überzukochen. Warte, nur noch diesen Satz. Willig greife ich zum Besen, ich kann selbstverständlich fegen und lesen, ein Rotznäschen versorgen, dabei in die Küche wandeln. Hm, es riecht, sagen wir mal, angebrannt, sehr verbrannt.

Die Kinder haben auf einmal gar keinen Hunger mehr. Versteh ich gar nicht, Die ganze Mühe umsonst. Ich lese noch mal gerade....... Ach ja und mails, ich habe schon ewig keine mails mehr abgerufen.  Pulsrasen, neue Anforderungen. Tüten raus, Aufkleber, Adressen vermerken, nichst durcheinander bringen, Trockner ausstellen, ausräumen, einräumen, anstellen. Ah, ein neues Buch. Nur mal eben, der erste Satz. Nur der erste Satz, wirklich.

Unsere Kinder scheinen sich zu prügeln [immer noch oder schon wieder], vielleicht irre ich auch und las diesbezügliches im Forum oder in einem Buch oder leide ich an Halluzinationen ?

Die Uhr ist immer noch defekt, sonst könnte sie nich schon kurz vor abends stehen. Kann sich da nicht mal wer drum kümmern. Ich lese nur noch diese Seite. Die Kinder prügeln sich. Kinder ? Welche Kinder ? Es riecht immer noch angebrannt. Wo mag das herkommen. Ein Buchstapel fällt um. Herrje, kann denn niemand in diesem Haushalt aufpassen ? Eine Adresse noch, eine. Meine Güte, müssen die Menschen so unschreibbare Namen und Adressen haben. Die Lupos sind mir ausgegangen. Lena bastelt immer noch Schlösser. Sollten diese Fetzen die Lupos.... ? Aber nein, die hat Sophia in die Toilette gestopft.

Die Zeiger rasen. Wo kommt die ganze Bügelwäsche her und noch wichtiger, wer wird sie je bügeln ?

"Mama, tomm mal, ich hab was debaut für dir!"

"Schön, mein Schatz, schön! Eine hervorragende Idee, die nagelneuen Luftpolsterumschläge erst in die Toilette zu stecken, nur um anschließend Papptürme aus ihnen in der Badewanne zu bauen...!"

 

 

 

augenBloglich 16.11.2004, 21.09

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kommentare zu diesem Beitrag

3. von Tanja

*den Bauch halt vor lachen*
Liebe Suan,
Du solltest WIRKLICH Bücher schreiben, und das meine ich ganz ernst. Ich würde sie alle kaufen :-)
Liebe Grüße
Tanja

vom 18.11.2004, 12.48
2. von Sonia

Scheint in rasender Eile mit deiner achten Hand getippt? Und ich atme auf...Hier noch ein Buchtipp für dich:
Roman-Anfänge, lauter erste Sätze, schönes Büchlein von Harald Beck, Haffmans Verlag Zürich 1992. Derselbige Herr hat auch eines in ganz ähnl. Ausgabe über Letzte Sätze herausgegeben, beide Bücher nur noch antiquarisch.
Liebe gaaaaaaanz, gaaaanz ruhige Grüße von Sonia

vom 17.11.2004, 15.19
1. von Marina

Hallo
meine kinder sind zwar schon aus dem gröbsten raus. Aber Du "schreibst" mir aus der seele.
Herrlich dies hier zu lesen, da kommen erinnerungen hoch aus längst vergangenen zeiten.
lg marina

vom 17.11.2004, 09.07
Internes
Letzte Kommentare:
Rosi:
hihiein toller Berichtich hätte mich schon g
...mehr
angelface:
am LIebsten würde ich dir ja laut zurufen:"
...mehr
Herr Rau:
"Paket! Paket!"Sehr mutig, all das. (Ein biss
...mehr
Anja:
Ich hab grad Tränen gelacht. an Apple a
...mehr
Anja:
Yes. Auch eines meiner Learnings
...mehr
Shoutbox

Captcha Abfrage



Marie
Toll, dass Du wieder bloggst!
Ich wünsche Dir ein frohes neues Jahr und hoffe, ich lese Dich nun wieder regelmäßig!
2.1.2015-4:56
Hanna
Nochmal herzlichen Dank für die Hilfe und du hast einen sehr tollen Blog ! (:
26.11.2011-16:21
Gartenfee
Hi, bist du gar nicht mehr hier am Werk??? Das wäre aber schaade.
25.2.2011-23:00
patricia
wie heißt deine lehrerin!!!!!!!!
1.3.2008-16:20
NIcole
Hey, ich find das super das Du Dich durchgesetzt hast bei den anderen Müttern. Ist doch egal was die sagen. Bin stolz auf Dich. lieben Gruß
NIcki
30.3.2007-9:25