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unvergessen

Dass ich ausgerechnet heute den alten Schulfreund traf wirkt auf mich wie ein schicksalsträchtiges Zusammenspiel. Noch gestern Nacht träumte ich - mal wieder - von jener Zeit der Aufruhr, der Unruhe, der Trauer, des Nichtverstehens.

Ich war knapp 15, es war im Oktober 1994, so jedenfalls erinnere ich mich. Meine erste "große" Liebe hieß Lorenzo. Gerade dem Barbie Alter entwachsen, suchte ich mein Glück in mehr oder weniger zaghaften Annäherungen, Händchenhalten und vielen Gesprächen. Er, ein Außenseiter der Klasse. Ich die Außenseiterin. Wie geschaffen füreinander. Gemeinsame Freunde. Die Suche nach dem eigenen Ich. Zwischen Borchert, Kafka, Goethe und Hölderlin versuchten wir uns zu definieren. Das Herz überquellend vor Energie und dem Nichtwissen wohin mit ihr. Den Kopf voller Sorgen. Die Umgebung sich entfremdend. Wir beide kamen uns da gerade recht.

Und wenn ich träume, dann erinnere ich mich an diese erste wilde, aber auch zaghafte, rein platonische Verbundenheit. An das sich Zueinanderhingezogenfühlen, aber auch das Abwehren, nicht wissend, was auf einen zukommen würde.

Es war ein Freitag und wir hatten in der fünften und sechsten Stunde Kunst. Wir saßen nebeneinander und gerieten, ich kann nicht mehr sagen aus welchen nichtigen Gründen, in einen sinnlosen Streit, in dessen Verlauf mir Lorenzo sein Geodreieck - das er mir zuvor geliehen hatte - entriss, zerbrach und schrie: "Das brauche ich sowieso nie wieder!" 

In diesem Augenblick wusste ich nicht, dass er Recht behalten sollte. Das erfuhr ich erst am Sonntag, als man mir telefonisch mitteilte, Lorenzo habe sich unter einen fahrenden Zug geworfen, sei zerrissen, zerfetzt, nicht mehr erkennbar.

Und meine Träume lassen mich diese Augenblicke immer und immer wieder erleben. Lassen mich die Wochen danach durchmachen, in hilfloser Wut, Trauer und Unverständnis. Sie erwecken die Schuldgefühle und das Gefühl des großen Verlustes.

Einsam war ich in den Wochen danach. Einsam, weil ich einsam sein wollte. Weil ich nicht immer und immer wieder darüber reden mochte. Nicht mit meiner ständig darauf herum reitenden Mutter, nicht mit den Mitschülern, nicht mit den Lehrern. Also schrieb ich. Seitenweise. Stürmisch,, hoffnungslos, verletzt, am Boden. Mein ICH, das auf der Suche war, fiel und fiel und das Loch, das sich vor mir auftat erschien größer und schwärzer als alles, was ich bis dahin gekannt hatte.

Man ließ mich nicht ans Grab. Man gab mir die Schuld. Ich gab mir die Schuld. Und viele Jahre lang fragte ich mich nach dem warum dieses Tuns. Erst sehr spät kam der Moment der Akzeptans. Niemals der Moment des Vergessens.

 

augenBloglich 20.03.2005, 21.32

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