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Grundschullehrer kann doch jeder
Ich habe das große Glück in einem Beruf arbeiten zu dürfen, für den sich halb Deutschland qualifiziert fühlt.
Nein, ich sehe das durchaus positiv, dass die Verkäuferin an der Kasse, die Bäckereifachverkäuferin und meine Ärztin, der Rechtsanwalt und die Apothekerin, jede Hausfrau, Auszubildende, Journalistin, nicht zu vergessen die Hebamme und Tupperberaterin und auch der Busfahrer, die städtische Angestellte und überhaupt jede andere Berufsgruppe sehr genau zu wissen meint, was ich als Grundschullehrerin wann zu tun und zu lassen, zu sagen und zu schreiben, zu lehren und zu lernen habe.
Immerhin erspare ich mir so das Lesen vieler fachdidaktischer Wälzer und lerne täglich dazu.
Ich finde das auch richtig, dass die anderen Berufsausbildungen ein Quentchen an grundschulrelevanter Fachdidaktik mitzuvermitteln scheinen, denn so gelangen wie zu einem steten, fruchtbaren Austausch und zu einer wahren Bereicherung jeder Evaluation.
Schauen wir uns beispielsweise mal das weite Feld der Mathematikarbeiten in der Grundschule an.
Insbesondere im Internet erhalte ich da an jeder Ecke – ungefragt und hilfsbereit – großzügige qualifizierte Hilfestellung.
Da werden die bewerteten Mathematikarbeiten in diversen Foren online gestellt und selbstverständlich weiß die Zahnärztin aus Buxtehude diese Arbeit aus Börsdorf – geschätzte 789 km Luftlinie entfernt – besser, exakter, gerechter und sinnvoller zu beurteilen als die Lehrerin, die das real also getan hat.
Doch nicht nur die Zahnärztin kennt sich mit genau jenen Aufgaben bestens auf – meine Güte, Grundschulniveau, haben wir das nicht alle mal gelernt? – auch die Schuhverkäuferin und Frisörin, Mutter und Zeitungsausträgerin, Ingenieurin und Tierärztin, sie alle sind sich sicher und vor allem einig:
Da hat eine Lehrerin wieder mal ungerecht bewertet und Punkte an Stellen nicht gegeben, wo sie auf jeden Fall hätten gegeben werden müssen und überhaupt, war die Arbeit für die Klassenstufe viel zu schwierig.
Ich bin überwältigt von den hellseherischen Fähigkeiten dieser Menschen, die ja - rein körperlich – nicht vor Ort gewesen sein können, keine winzige Sekunde des Unterrichts der Kollegin erlebt haben, die Klasse nicht kennen, die Kinder nie gesehen haben und dennoch felsenfest und mit einer dubiosen Selbstsicherheit das Urteil infrage stellen, ja, besser noch, die Arbeit an sich viel gerechter, fairer und einfühlsamer meinen bewerten zu können.
Mit Sicherheit fehlt ihnen jedoch nicht die Phantasie sich auszumalen, was es bedeutet, vor einer Rechtschreibkontrolle fünf Wochen lang das Großschreiben zu Beginn des neuen Satzes geübt zu haben, selbige Regel noch geschätzte fünfmal unmittelbar vor der Kontrolle von den Kindern verbalisieren zu lassen, nur um später zu entdecken, dass vier Kinder dennoch konsequent nach dem Punkte klein weiter geschrieben haben.
Da wird die Schrift einer Kollegin – man erinnere sich an die online gestellte, bereits bewertete Klassenarbeit – diskutiert und kritisiert, gar als absolute Zumutung abgetan und im gleichen Atemzug die von der Lehrerin kritisierte Schrift des Kindes zum Himmel gelobt.
Überhaupt: Wie soll das Kind ordentlich schreiben, wenn die Lehrerin zu wenig Platz lässt?
Ich bin sehr froh über diese Vorgehensweise der anscheinend im Selbststudium qualifizierten Menschen, denn sie lehrt mich nicht nur eine angemessenere Punkteverteilung, nein, sie schult meine Sensibilität im Umgang mit Kind und Eltern, etwas, dass alle Menschen besser zu beherrschen zu scheinen als Grundschullehrer an sich.
Ich kann das durchaus verstehen. Zum Beispiel der Zahnarzt. Sagen wir mal, ich bin bisher in meinem Leben geschätzte 100 Mal bei einem Zahnarzt gewesen und das über einen Zeitraum von über 30 Jahren.
Selbstverständlich qualifiziert mich das und ich würde dem netten Herrn auch gerne immer Tipps bezüglich seiner Arbeit geben, zu der ich mich aufgrund der langen Zeitspanne, aber auch wegen der zahlreichen Besuche nahezu ebenfalls hinreichend geschult sehe.
Jetzt ist das gerade mal ein schlechtes Beispiel, denn ich kann dem guten Mann keine Tipps geben, weil mein Mund ja nun immer mit Watte, Saugern und ähnlichen unsympathischen Gedöns zugestopft ist.
Aber die Kassiererin bei Aldi zum Beispiel. Ich gehe wirklich oft genug einkaufen, um ihr Optimierungstipps bezüglich der Schnelligkeit ihrer Kassierversuche zu geben.
Ich könnte auch dem Bäcker verbal sehr hilfreich zur Seite stehen, denn hin und wieder habe auch ich schon mal einen Kuchen gebacken.
Ja und die Friseuse, mein Gott, klar schneide ich hin und wieder Haare, bestimmt wäre die Dame sehr froh und beglückt würde ich mit meinen weisen, durchdachten und hilfreichen – wenn auch ungebetenen – Ratschlägen mal einen Blick auf ihre Arbeit werfen.
Sonderbar, dass ich bislang nicht das Verlangen gespürt habe, anderen Menschen zu sagen, was sie alles falsch und ich besser machen würde in ihrem Beruf.
Mag sein, es mangelt mir an Zeit, meine Gedanken mit derart Nutzlosem und Anmaßendem zu füllen.
Es kann aber auch daran liegen, dass in unserem Haushalt keine Goldwaage zu finden ist.
Eine Anschaffung über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe.
Und das ist auch gut so.
ich verstehe Deinen Ärger,
aber wenn es um meine Kinder geht, dann nehme ich mir das Recht heraus, auch Grundschullehrerinnen oder gar Erzieherinnen in Frage zu stellen, oder soll man einfach alles nur so hinnehmen, weil man ja den Beruf nicht gelernt hat??
Entschuldige, aber es geht hier um mein Kind, nicht etwas um Haare oder Apfel vom Aldi!!
lena
vom 23.02.2007, 17.17