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Stewardess

Stewardess ist kein Job für mich. Nein, ehrlich. Ich meine, gut, vor zig Jahren war es selbstverständlich mein Jugendtraum, aber wie das so geht im Leben, die Jugendträume erweisen sich in der Realität nicht zwingend als so rosig, wie erhofft.

Nicht, dass ich je in den Genuss gekommen wäre mal in diesen Job hineinschnuppern zu können. Nein, das nicht gerade. Aber immerhin war ich so wagemutig eine sieben bis achtstündige Autofahrt mit einer drei- und einer fünfjährigen liebenswerten Passagierin anzutreten.

Mein sowieso nur schwach ausgeprägtes Mutterwarngern hatte mal wieder versagt und so setzte ich mich relativ frohgemut auf den Beifahrersitz, zwischen mir einen Proviantkorb, diverses, völlig durcheinander geratenes Kartenmaterial und in mir die gute Hoffnung auf ein paar Tage RUHE und Auszeit.

Wir fuhren aus unserer Einfahrt und alles war gut.
Es mag bei Kilometer 0,6 gewesen sein, als Sophia von hinten rief: "Ich muss Pipi!" Ha, kein Problem, zwar waren wir gerade - ungefähr fünf Minuten zuvor - auf der Toliette gewesen um genau SO einen FALL zu vermeiden, aber wir waren frisch, wir waren unbedarft und ausflugsjung.

Abgeschnallt, über den Korb und die Karten nach draußen balanciert, Kind ausgeschnallt, in die Büsche geeilt, Kind wieder angeschnallt, über das Chaos gestiegen, selber angeschnallt, weitergefahren.
Kleine Zeitverzögerung von vielleicht vier Minuten.

Muss ich erwähnen, dass Lena beteuerte nicht zu müssen?

Es muss bei - geschätztem - Kilometer 1 gewesen sein, als Lena einfiel, sie müsse eventuell doch mal ganz außerordenlich dringend. Während Sophia einen leichten Appetit verspürte, aber auf keinen Fall Gurke oder Tomate, lieber einen selbstgebackenen Keks von Oma zu verspeisen wünschte.
Während die hungrige kleine Dame einen kleinen, aber lautstarken Tobsuchtsanfall durchlebte, als ich ihr mitteilte, Omas Kekse hätten wir definitiv nicht dabei, dafür aber Gurke und Tomaten, begann Lena zu jammern, sie müsse wirklich dringend. Jetzt und nicht gleich.

Tomaten und weise Sprüche verteilend schob ich all dies auf die Anfangsaufregung. [Mir war zum damaligen Zeitpunkt durchaus nicht bewusst, dass die Anfangsaufregung in den mittleren Erregungszustand, dieser dann in dem Ichkannundwillnichtmehrgenöle münden würde!]

Wir hielten - kurz - ich stieg und schnallte ab und an und verschwand in den Büschen - diesmal schaffte ich all dies bereits in ca. drei Minuten.

Bis Kilometer 4 herrschte Ruhe. Nein, das habe ich jetzt missverständlich ausgedrückt. Es herrschte natürlich nicht wirklich Ruhe, sondern wir wurden auf beglückend angenehme Weise von Baby Borns wunderbaren Liedern beschallt. Die einprägsamen und sinnreichen Texte wie: "Kolonne 17 das sind wir, die schnellsten Raupen im Revier...!" bekommt man so rasch nicht wieder aus seinen für Musik zuständigen Gehirnteilen, aber wie war das?

Wir waren frisch, wir waren unbedarft und wir waren ausflugsjung.

Ich erinnere mich gut an Kilometer 7, als der erste klitzekleine schwesterliche Streit entbrandte. Es bildete sich eine Baby Born und eine Bibi Blocksberg Fraktion. Beide sehr lautstark und sehr wenig kompromissbereit.
Wir, als einzige pädagogisch Recht ausübende Kraft im Fahrzeug, entschieden diplomatisch gegen beide Vorschläge, woraufhin sich die beiden gegnerischen Parteien miteinander verbündeten und - weiterhin lautstark - feststellten, sie hätten die gemeinsten Eltern der Welt.

Damit konnten wir einigermaßen gut leben und erst bei Kilometer 10 erwischte uns der nächste Toilettenangriff. Mittlerweile fast Profis kappten wir die 3 Minuten Grenze und fuhren frohen Mutes weiter.

Im Laufe der Fahrt musste ich häufig an den Beruf der Stewardess denken.

"Mama, ich hab Durst!"
"Schatz, kannst du mir bitte einen Kaffee einschütten!"
Kolonne 17 das sind wir
"Mama, ich möchte eine Tomate!"
"Mama, kann ich mal das Laura Buch sehen!"
"Schatz, haben wir Bananen?"
"Mama, ich will auch eine Banane!"
"Mama, ich auch und was zu trinken!"
"Mama, wann sind wir dahaaaa?"
"Schatz, mussten wir hier raus!"
Kolonne 17 das sind wir
"Mama, mach doch Bibi an, bitte!"
"Mama, nein, ich will Baby Born hören!"
"Mama, ich will lieber Süßes. Keine Gurke!"
"Schahatz? Mussten wir hier raus?"
"Mama, ich muss Pipi!"
"Schaaaahatz! Kannst du nicht mal darauf achten, was auf den Schildern steht?" "Mama, Lena hat mir meine Puppe weggenimmt!°
"Haben wir noch Kaffee!"
"Mama, wenn die Menschen tot sind, wie machen die dann AA?"
"Wann sind wir daha?"
"Süßstoff, reichst du mir mal bitte Süßstoff?"
"Mama, wann sind wir endlich daha?"
Kolonne 17 das sind wir
"Mama, ich will was essen. Aber mal was leckeres!"
"Mama, die Sophia nimmt mir immer alles weg und die hat ihren Fuß hier bei mir!"
"Ich muss Pipi!"
"Mama, warum gibst du mir nicht endlich mal was Süßes?"
"Schatz, haben wir Frikadellen?"
"Mama, ich will auch eine Frikadelle!"
"Boah, Mama, warum haben wir keine Frikadellen?"
"Ja, warum hast du keine Frikadellen gemacht?"
"Mama, wann sind wir daha? "Mama, ich muss auf die Toilette!"

Es muss bei Kilometer 700 gewesen sein oder so. Mit einem Male verspürte ich den Drang auch mal eine Toilette aufsuchen zu müssen. Ich wagt zaghaft mein Anliegen kund zu tun.

"Boah, Mama, müssen wir schon wieder anhalten? Wir wollen auch mal ankommen!"
Ist es nicht schön, wenn Vater und Töchter sich einig sind?

Die herrlich entspannte Fahrt wurde bei Kilometer 710 dann ein wenig unentspannter, als man mir auftrug, das Kartenmaterial zur Hand zu nehmen und wegweisend tätig zu werden.
Nicht, dass dabei die anderweitigen Pflichten vernachlässig werden durften. Hunger, Durst und andere Wichtigkeiten machten selbstverständlich keine Pause und so reichte ich Obst und Wasser, plemperte hier auf die Karte, dort auf die Hose, hielt die Karte ein klein wenig falsch herum was zu leichten Navigationsproblemen und männlicher Entnervung führte und fragte mich, wie ich um Himmelswillen auf die Idee gekommen war, mit einer ganzer Familie eine Autofahrt von mehr als 40 Kilometern anzutreten?
Das Selbsteingeständnis meiner geistigen Unzurechnungsfähigkeit half uns in diesem Falle nicht wirklich weiter, also reichte ich wieder an, gab weiter, sang mit, schlug mich in die Büsche, schaute auf die Karte, antwortete, mahnte, lobte und sandte jede Menge Achtung an all jene Damen und Herren, die das Reichen und Antworten zu ihrem Beruf gemacht haben. Meine Hochachtung. Doch für mich, für mich wäre das nichts. So viel steht fest.


augenBloglich 06.08.2005, 21.03

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Hanna
Nochmal herzlichen Dank für die Hilfe und du hast einen sehr tollen Blog ! (:
26.11.2011-16:21
Gartenfee
Hi, bist du gar nicht mehr hier am Werk??? Das wäre aber schaade.
25.2.2011-23:00
patricia
wie heißt deine lehrerin!!!!!!!!
1.3.2008-16:20
NIcole
Hey, ich find das super das Du Dich durchgesetzt hast bei den anderen Müttern. Ist doch egal was die sagen. Bin stolz auf Dich. lieben Gruß
NIcki
30.3.2007-9:25