Auch wenn ich es sehr ungern gestehe - ich war Wochen, ach was sag ich, Monate nicht mehr beim Sport. Natürlich hatte ich immer eine passende Ausrede zur Hand, gar keine Frage, zu tun hatte ich genug.
Der Schweinehund war wieder einmal stärker.
Nun kletterte jedoch die Waage, ohne meinen Zuspruch, einfach über Weihnachten höher und höher und statt der 80 Kilo, die ich seit dem Sommer tapfer hielt, zeigt sie nun bereits wieder vier satte Kilo mehr an.
Das geht gar nicht.
Ganz und gar nicht.
Ich gehe nun die nächsten 15 Kilo an. Nicht ganz so voller Elan wie Mitte letzten Jahres, aber mit eisernem Willen.
Gestern nun also besiegte ich den Schweinehund erstmalig. Ich befürchete schon absolute Tiefschläge und war heilfroh, dass ich meine übliche Trainingsrunde ohne größere Probleme überstand.
Gut, die größeren Probleme hatte ich dann nachts, als alle denkbaren und undenkbaren Körperteile anfingen zu zwicken.
Nichtsdestotrotz, ich will ja eisern sein, begab ich mich heute morgen erneut in die Trainingshölle.
Sonntagsmorgen tummeln sich dort immer die ranke und schlanken Damen, denen nie ein Schweißtropfen über das Gesicht oder sonstwo hinrinnen würde, egal, wie sehr sie sich gerade anstrengen.
Ich bewunderte ausgiebig all die geschmeidigen und anmutigen Körper und stellte fest, dass ich wirklich noch nie in meinem Leben, selbst als ich 57 Kilo wog nicht, anmutig wirkte.
Ich bin Realistin und verwarf die spontane Idee, daran zu arbeiten, anmutig zu werden.
Allerdings weckten diese Körper meinen Ehrgeiz und ich stieg schwungvoll auf das Radl.
Rechts neben mir trampelte eine junge, dynamische, unbeschweißte Frau um ihr Leben, links von mir ruderte eine alte, ebenfalls dynamische und unbeschweißte Frau auf Weltrekordniveau.
Sofort steigerte ich meinen Schwierigkeitsgrad. Pöh, was die können, kann ich auch.
Der peinliche Moment, in dem man sein Gewicht ins Display tippen muss ging schnell vorüber und tapfer stellte ich die Zeit auf Maximum: 25 Minuten.
Ich trampelte, als sei der Wolf hinter mir her. Fünf lange, schweißtreibende Minuten ging das gut, dann floss mit einem Male Beton in meine Beine.
Bleischwer hingen diese Teile an meinem Körper und ließen sich nur unter Aufbietung all meiner Kraft bewegen.
Ich starrte in den Kursraum, wo junge, schlanke, unbeschweißte und lächelnde Frauen sich den Bär steppten.
Ich starrte auf meine Beine und dann auf die Uhr im Display. Ha, nur noch schlappe 19 Minuten.
Durchhalten. Jetzt nur nicht schlapp machen.
Die Dame recht von mir steigerte ihr Tempo und erzählte dabei locker und fröhlich einen kleinen Schwank.
Ich keuchte. Schweißtröpfchen fanden ihren Weg über meinen Nacken hinein ins T-Shirt.
18.45 zeigte die Uhr, als ich spürte, wie mein Kopf knallrot anlief.
Die Damen im Kursraum steppten unbeschwert vor sich hin. Die Wangen minimal gerötet, fetzige Songs mitsingend.
Ich stöhnte.
Die Damen neben mir lächelten.
Lächelten. Man stelle sich das vor. Sie rennen, rudern, radeln wie die Irren und es gelingt ihnen dabei zu lächeln.
Ich versuchte es ihnen nachzutun und merkte, wie mein Lächeln als Fratze in meinem Gesicht versteinerte.
17.33. Die Minuten tröpfelten, meine Beine wurden schwerer und schwerer. Mein T-Shirt eklig nass.
Ich keuchte.
Die Damen neben mir sprachen über den King Kong Film und lächelten.
Ich hatte Mühe, meine Beine als zu meinem Körper zugehörig zu betrachten.
Ich keuchte, stöhnte und stank.
Die Frauen im Kursraum drehten sich über die Steppbretter, schmissen ihre Arme punktgenau hierhin und dorthin, lächelten und strahlten Energie und Freude aus.
Meine Mine drückte nur eins aus: Qual. Unendliche Qual.
15.23
Ganz klar, das Display ist kaputt. Das kann doch gar nicht sein.
Die Dame neben mir stellt mir eine Frage. Eine Frage? Hergottnochmnal, merkt sie nicht, dass ich ums Überleben kämpfe. Ich versuche zu lächeln, die Schmerzen in den Beinen zucken dazwischen, mag sein, ich heulte gequält auf, keine Ahnung, jedenfalls erhaschte ich einen midleidsvollen Blick von der Seite.
Euch zeig ichs!
Jetzt erstrecht.
13.59. Ich denke, ich sterbe. Hier mitten in diesen dynamischen Frauenhaufen, zwischen all den lächelnden hübschen Menschen werde ich mein Leben auf einem Rad aushauchen.
12.45.
Unter zehn. Gleich zeigt die Uhr unter 10 Minuten. Das gibt mir nochmal minimalen Auftrieb. Da wo andere Menschen ihre Beine haben, kleben bei mir Betonpfosten. Unbeweglich, schwer.
Bleiern.
Ich keuche. Ein diabolischen Grinsen huscht kurz über mein Gesicht. Bevor ich sterbe zeige ich es allen. Ich werde nicht ohne Orden abtreten. Nicht ohne den 25 Minuten Radfahren Orden.
9.33.
Dankbarkeit durchströmt mich. Mittlerweile fühlen sich auch meine Füße abgestorben an. Ich kann darauf keine Rücksicht mehr nehmen.
Mein T-Shirt klebt an meinen Bauchrollen. Kurz sinniere ich darüber nach, wie super dämlich, oberhässlich das aussieht, werde aber von all den Schmerzen, die ich nicht orten kann, übermannt und starre aufs Display.
9.11.
Das kann nicht sein. Verdammt.
Das kann einfach nicht sein.
Die Damen im Raum nebenan steppen. Tanzen, steppen, lachen. Hach, das Leben scheint schön zu sein.
Nicht, dass ICH davon etwas spüre, wie auch, wenn meine Beine gerade abfallen?
Das Gefühl, den Kopf immer röter anschwellen zu fühlen ist kein so schlechtes, verglichen mit dem Gefühl, gleicht sterbenstot vom Rad zu fallen.
8.24.
Durchhalten.
Einfach fahren, fahren, fahren.
Der Schweiß rinnt über meine Augen. Buah das ist eklig und ich weiß nicht, was so toll daran sein soll hier zu sitzen, zu radeln und sich die Sau aus den Körper zu schwitzen.
Neben mir die Damen sehen so aus, als säßen sie im Sessel und entspannten. Keine roten Köpfe weit und breit, kein Schweiß, kein Keuchen.
Sieht man mal von meinem Pusten ab, das durch die Hallen brüllt.
6.45.
Definitiv. Ich kann nicht mehr. Das ist es, mein Ende. Und wofür das alles? Für einen nachgejagten, eitlen Traum.
Vor meinem Augen erscheinen Eisbecher, Pralinen, Schokoriegel.
Ich fasse ins Auge, jetzt einfach abzusteigen, einen Schokoriegel zu essen und nach Hause zu fahren.
Ich würde es auch sofort tun, nur leider gehorchen mir meine Körperteile nicht mehr.
5.43
Ich starre nun nonstop auf das Display. Siebenkommafünf Kilometer. Und wofür das alles? Für schlappe, magere 180 Kalorien. Ich blicke das Display finster an.
Ich hasse es. Ich hasse das Display, die Uhr, das Radln. Ich hasse Sport. Ich hasse Schwitzen, ich hasse meinen roten Kopf.
2.34
Ich fahre im Halbkoma.
Ist doch eh schon alles egal. Die Füße trampeln Runde um Runde. Die Damen neben mir lächeln immer noch. Ich radle und radle und radle.
Ich lächle nicht, ich keuche auch nicht mehr. Dazu fehlt mir nämlich die Kraft.
Ich radle und bin selig.
Leben ist Dreck, sagte man mir einst, ich kann es bestätigen.
1.56
Ich fasse es nicht. Gleich, gleich habe ich es geschafft. Stolz wallt in mir auf und ich schaue mich um. Erkennt denn niemand meine Heldentat?
Erkennt denn niemand, was ich Unglaubliches geleistet habe?
Ignoranten. Jaja, lächelt ihr nur, während ich hier alles gebe.
0.56
Ich zähle nun mit.
Zweimal mit den Füßen rum und eine Sekunde ist vergangen.
Zweimal mit den Füßen rum und eine Sekunde ist vergangen.
Zweimal mit den Füßen rum.......
PIIIIEPPS.
Das ist MEIN Rad. es piepst. Es piepst wahrhaftig und zeigt damit deutlich: Ich habe es geschafft. 25 lange Ewigkeitsminuten.
Warum brandet kein Beifall auf?
Kein tosender Applaus umfängt mich?
Etwas eirig steige ich nach dem cool down vom Rad.
Ich bin eine Heldin.
Auch wenn das anscheinend in all dem lächelnden Dynamismus untergeht!