Gute Mütter kaufen selbstverständlich keine Schultüte. Gute Mütter basteln die Schultüte Ihres zukünftigen I-Männchens selber.
So zumindest suggeriert mir meine Umwelt von hier bis dort und so wünscht es - selbstredend - meine Tochter.
Ich persönlich hätte jetzt keinen Einwand gegen eine schlicht gekaufte Tüte erhoben, aber das zukünftige Schulkind hatte da so ganz eigene Vorstellungen und natürlich konnte ich mich dem Gruppenzwang nicht wirklich entziehen.
Die Probleme begannen schon bei der allgemeinen kindergärtnerischen Terminierung.
Als einzige war ich nämlich nicht in der Lage die Dienstagstermine wahrzunehmen, da ich mich dann grundsätzlich im virtuellen Klassenzimmer eine Fortbildung befinde.
Netterweise bot man mir einen Donnerstag Termin an und so saß ich gestern im Kindergarten und bastelte mit unseren Töchtern eine Meerjungfrau-Schultüte.
Man teilte mir sofort mit, alle anderen Mütter hätten mindestens drei Nachmittage gebraucht und die Kinder lässt man nicht mithelfen, weil es ja schön werden soll.
Mein Einwand, es würde sicher schöner, wenn Lena und Sophia mithielfen wurde nicht ganz ernstgenommen.
Um so erschütterter waren alle, als sie bemerkten, dass ich in der Tat meine Kinder all die Figürchen, Seepferdchen, Fischlein und natürlich die 1253 Bestandteile der Meerjungfrau ausschneiden ließ.
"Wollen Sie das SO an die Tüte kleben?" wurde ich entsetzt gefragt und mit einem Naserümpfen merkte man an:
"Das hat keine andere Mutter so gemacht!"
Den nächsten bösen Fehler beging ich, indem ich den Tornister des baldigen Schulkindes nicht mitgebracht hatte.
"Wie wollen Sie denn da die Farben abstimmen?" wurde ich gefragt und mein Einwand, der Tornister säße doch auf dem Rücken, die Tüte hielte das Kind vorne, rief Entrüstungsseufzer hervor.
Mir war bis dato einfach nicht klar, dass es hier nicht um schlichtes Schultütenbasteln mit dem eigenen Kinde, sondern eher um eine Art Zelebration des Schultütenbastelns ging.
Lena schnitt glücklich ihre Figürchen aus. Sophia half ihr fleißig und beide platzten vor Stolz, dass sie an der Tüte mitwirken durften.
Doch dann geschah die Sache mit dem Glitzer.
Natürlich können wir keine glitzerlose Schultüte basteln - wo kämen wir da hin?
Da ich meine Tochter kenne, war mir dies durchaus klar und ich überließ es Lena, die Glitzerverzierungen aufzutragen.
Hin und wieder verwischte sie nun versehentlich ein wenig Glitzer - was ich durchaus gut nachvolziehen konnte, denn irgendwie lag nach geraumer Zeit alles voller Bastelkram, Vorlagen, Stifte, Scheren, Krepppapier etc. und man wusste eh nicht mehr recht wohin mit seinem Zeugs.
"DAS sieht ja furchtbar aus!", meinte eine dazugekommene Mutter, die bereits den dritten Nachmittag beim Schultütenbasteln verbrachte.
Lena schossen sofort die Tränen in die Augen, sie hatte sich extra viel Mühe gegeben.
Mein:
"Ich finde es wunderschön!" half da auch nicht mehr.
"Wie sieht denn das hinterher auf dem Foto aus!" wollte die Mutter wissen und ich erklärte kurzab:
"Selbstgemacht eben!"
Mit unendlicher Akribie schnitt die Dame währenddessen kleine Herzchen und Blümelein für die Tüte ihrer eigenen Tochter aus und verwies eben jene Tochter immer des Raumes, um in Ruhe werkeln zu können.
Etwas hektisch wurde die Dame, als Sophia mit einem Riesenbogen Tonpapier, den sie für uns geholt hatte, ein wenig von ihrem Glitzerzeugs über den Tisch wehte.
"Pass doch auf, wir haben alles in Rot und nicht in Silber!" hauchte die Mutter die drei Silberkörner vorsichtig von einem Herzchen.
Mittlerweile waren noch drei, vier andere Schultütenmütter gekommen, alle natürlich ebenfalls zum dritten Bastelnachmittag.
"Kommst Du nur heute?" wollte jemand wissen und mein JA hat wohl gleichzeitig die Worte RABENMUTTER in Lettern auf meine Stirn gepeitscht, denn fortan musste ich mir anhören, dass das ja gar nicht geht und so eine Tüte ja eine Art Lebenswerk sei und dieser gewaltige Schritt ins neue Leben und dann SO EINE Tüte.
Ich hörte geduldig zu und versuchte derweil hunderte von Krepppapierlagen in die Tüte zu kleben. Meine diesbezügliche Geduld war eher begrenzter, meine Hände schon voller ekliger Klebe und so bat ich um einen Tacker.
Ein Aufschrei der Empörung hallte durch die Räumlichkeiten.
"Tacker?? Du kannst das doch nicht tackern!" Entsetzen und Fassungslosigkeit machten sich breit.
Mein Argument, man sähe das Getackerte schließlich nicht, weil außenrum ja lagenweise Tüll käme wurde mit derart vernichtenden Blicken gewürdigt, dass ich lieber brav weiterklebte.
Toll, wenn es unten in der Tüte hält, oben aber wieder abfällt.
Schön auch diese Flüssigklebe, die überall hinläuft nur niemals an die Stelle, an die ich sie gerne gehabt hätte.
"Du weichst von den Farbkombinationen im Heft ab!" wies mich eine Mutter zurecht, nicht, dass ich mich überhaupt an die Vorlage gehalten hätte.
Falsch, so merkte ich, ganz falsch.
Man hat genauso zu basteln wie im Heft und es muss zum Tornister passen.
Und getackert wird nicht!
Den Rest gab mir persönlich dann ja die Sache mit der Perlenkette. Um all diesen Außentüll sollte nun also noch eine ellenlange Perlenkette - die natürlich noch aufzufädeln war - geschlungen werden.
Nicht nur, dass sowohl Lena als auch ich dies scheußlich fanden, nein, uns schwand auch die Zeit.
Wir wollten also nur hin und wieder eine kleine Verzierungsperle, was sämtliche anwesende Damen einer Ohnmacht nahe brachte.
Da ja nun weder die Damen noch die Erzieherinnen mit unserer Tüte durch die Gegend laufen müssen, entschieden sich Lena und ich für die schlichte - meiner Meinung nach immer noch üppigen - Variante.
"Naja!", meinte eine Mutter nachdem wir fertig waren und sie feststellte, dass sie wohl ein viertes Mal kommen müsste
"Dann gibst Du diese Tüte eben einfach Sophia und kaufst Lena eine Ordentliche!"
Wir werden uns hüten.
Lena liebt ihre Tüte und ist mächtig stolz auf ihr Werk.